Auszüge aus dem Roman-Fragment
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Damals gab es erstmalig die Institution der Sozialfürsorge. Von dieser Fürsorge bekam ich abgetragene Kleidung, die rundum zu groß war. Ich war ja völlig unterernährt. Ich wurde damit vertröstet, dass das G’wand zum Hineinwachsen sei. Eine lächerliche Behauptung. Bis man groß genug war, um hineinzupassen, war diese Kleidung meist schon zu Ausreibfetzen geworden. Ein Wort wie Mode war völlig unbekannt. Die obligate Knabenbekleidung bestand aus Leibchen, Hemd, kurzer Hose, langen Strümpfen mit Strumpfbandhalter und hohen Schnürschuhen mit Ledersohlen. Im Winter kamen noch Pullover, Jacke, Schirmkappe und Keilhose dazu. Die Schuhe wurden mit Tschernken trittfest gemacht.
Einen Vorteil hatten die Ledersohlen, man konnte bei Schneelage herrlich Schleifen aufreißen. Mutprobe und gute Gleichgewichtsübung in einem. Auf den Schleifen wurden oft erstaunliche Geschwindigkeiten erzielt.
Kurze Zeit kam ich noch in einen Kindergarten, da Mutter natürlich arbeiten musste. Wieder dasselbe Dilemma wie mit Vater. Als ungelernte Kraft musste sie nehmen, was es eben an Arbeit gab. Und das war sehr, sehr wenig. Mit Mühe bekam sie Beschäftigung in einem kleinen Metallverarbeitungsbetrieb am Johann-Nepumuk-Berger-Platz in Ottakring. Als Stanzerin. Aus Blechstreifen wurden verschiedene Formen ausgestanzt und man musste sehr schnell und hochkonzentriert sein, um seine Finger zu behalten. Das gelang nicht allen. Verstümmelungen musste man eben in Kauf nehmen. Mutter hatte Glück. Heute gibt es raffinierte Schutzvorrichtungen, oder überhaupt vollautomatische Maschinen. Aber selbst das alles schützt nicht wirklich vor möglichen Unfällen. Wer das Pech hatte, arbeitsunfähig zu werden, hatte tatsächlich Pech in mehrfacher Hinsicht. Genoss er nicht den Schutz einer Familie, blieb ihm nur noch das Betteln oder Hausieren.
Bettlern, die an die Wohnungstüren klopften, stellte man üblicherweise einen Teller Suppe auf die breiten Fensterbretter des Stiegenhauses, oder man erübrigte einige wenige Groschen. Den Hofsängern, die oft mit einer Gitarre unterwegs waren, warf man in Zeitungspapier gewickelte kleine Beträge aus den Wohnungsfenstern zu. An Hausierern gab es den Rastelbinder, der gegen geringes Entgelt durchlöcherte Reindeln wieder dicht machte. Dann noch den Scheren- und Messerschleifer. Sie alle klapperten die Häuser ab, denn niemandem wäre es eingefallen, selbst einen Professionisten aufzusuchen, der ein Vielfaches dessen, was ein Hausierer bekam, verlangt hätte. Und schließlich gab es noch den Fetzen-Baner-Mann, dem man zerschlissene Kleidung und Knochen aus Speiseresten mitgab.
Viele Berufe, die den Menschen dieser Zeit Arbeit und Brot gaben, existieren heute nicht mehr. All das, was du heute in einem Einkaufsgang im Supermarkt erhältst, musstest du damals mühselig in den verschiedensten Geschäften zusammenholen. Da gab es den Fleischhauer, den Pepihacker (Pferdeleberkäse schmeckte mir am besten), den Kräutler, den Greißler, die Zuckerltant und noch die Milchfrau, die selbst am Sonntagmorgen für zwei Stunden ihr Geschäft geöffnet hielt. Eiskästen gab es damals noch nicht, und die Milch wurde mit Milchkanndeln geholt. Die Milchfrau schöpfte aus einem Bottich mit Seichtern, das sind Schöpfgefäße von einem achtel Liter, viertel Liter bis zu einem halben Liter, die Milch in die mitgebrachten Ein-Liter-Kannen. Sonntags musste Milch erhältlich sein, denn Eiskästen, – siehe oben. Die reicheren Leute hatten wohl eine mit Blech ausgeschlagene Kiste, in die Blockeis hineinkam, das die Lebensmittel doch einige Zeit frisch hielt. Dazu kam wöchentlich zweimal der Eismann vorbei, der auf der Gasse eine Glocke läutete, damit die Leute frisches Eis zur Kühlung ihrer Vorräte kaufen konnten. Dieses Blockeis wurde in der Eislaufhalle Engelmann in der Jörgerstrasse im 17. Bezirk, in Hernals, erzeugt.